„Ich habe heute schon wieder den Fehler gemacht, Internetkommentare zu lesen. Die Welt ist grausam und schlecht.“

Das Internet spaltet die Gesellschaft: für die einen ist es Neuland, für die anderen die Zweitwohnung; für die einen ist es das Lexikon, was sie sich niemals leisten konnten, für die anderen ist es die pure Überforderung; für die einen ist es der lang ersehnte Kanal, um ihrer Meinung Gehör zu verschaffen – und für die anderen ist es genau deswegen ein digitaler Albtraum.
Dank dem WWW ist es jedermann und jederfrau möglich, ihre Meinung zu sagen. Zu der SPD, dem Rechtschreibfehler auf SPON, dem neuen Video von Nicki Minaj, der Gesichtsoperation von Deutschlands neuestem Z-Promi. Anscheinend ist eine Meinung ja auch gewünscht, es gibt kaum eine Website ohne Kommentarfunktion. Also immer her mit deiner Meinung, lieber mehr oder weniger allgemeingebildete Mitbürger!
Internet – das Land der unbegrenzten Möglichkeiten

Manchmal macht es sogar Spaß zu lesen, was andere zu sagen haben. Oft genug geht es um absolut triviale Themen, da finde ich es höchst unterhaltsam, wenn zwei über Geschmacksfragen epische Kämpfe in kleinbuchstaben ausfechten. Oder wenn die Nutzer aufgefordert werden, ihre persönlichen Geschichten zu teilen, und man mit anderen zusammen lauthals lachen oder Flüsse weinen kann. Da zeigt sich der unschuldige Communitygedanke des Internets und, ganz naiv gesagt, das find ich schön. Ich kommentiere selbst tatsächlich höchst selten, und dann meist nur in solchen Situationen, denn meistens ist die Kommentarspalte unter Beiträgen der Spuckeimer derer, die in der realen Welt kein Gehör finden.
Eins ist klar: wer sich im Internet einer öffentlichen Meinung stellt, muss damit rechnen, dafür gehasst zu werden. Das betrifft Firmen und Marken ebenso wie Journalisten. Im vergangenen Jahr, hatte ich das Gefühl, echauffierte sich die deutsche Onlinepresse besonders stark über ihre Leser, sodass man sich verpflichtet sah, Maßnahmen gegen die Hater zu ergreifen. So viele gemeine Kommentare. Fies ist das auch, wenn Leute darauf hinweisen, dass dein Artikel schlecht recherchiert ist oder dich als linke Drecksau beschimpfen.
Im ersten Fall denke ich: okay, schreibst du scheiße, frisst du Scheiße. Schreib halt besser. Aber sobald es wie im zweiten Fall auf die persönliche Ebene geht, fehlt mir einfach jegliches Verständnis. Unsachliche, nicht konstruktive Kommentare sind frustrierend und lassen einen den guten Glauben an die Menschheit verlieren.

Zudem es trifft ja nicht bloß Journalisten, die sich gewissermaßen bezahlen lassen, damit sie die Kommentare ertragen, oder Marken, deren Marketingabteilung (mal mehr, mal weniger) professionell die Unprofessionellen aus ihrer Kommentarseite aussortieren oder ihnen (ganz mutig) sogar antworten. (Und ehrlich gesagt, viele Firmen haben es manchmal auch verdient, dass ihnen das ganze Land online auf der Nase herumtanzt.) Auch Einzelpersonen müssen sich der Kritik stellen, sobald sie einen Teil ihres Daseins online fristen:
I don’t understand why so many people say nasty things about my tooth gap? Like, why does it offend people so much. It’s my bones! BONES!
— Louise (@SprinkleofGlitr) January 5, 2015
Ich muss zugeben, ich bin gespalten: in dem obigen Beispiel handelt es sich um die britische Vloggerin Sprinkle Of Glitter, die nicht nur Lifestyletips und -tricks in Videos teilt, sondern auch viel ihres Privatlebens auf mehreren sozialen Netzwerken. Bei ihr hat man zumindest noch den Eindruck, dass ihr bewusst ist, auf was sie sich mit diesem beruflichen Weg eingelassen hat. Sie reagiert souverän auf Menschen, die unangebrachte Kommentare schreiben.
Doch bei genügend dieser Internetstars ist das nicht der Fall: im Falle der Youtuberin Zoella führten Kommentare ihrer Fangemeinde dazu, dass sie sich für kurze Zeit völlig zurück zog – offensichtlich da sie mit den Gemeinheiten auf persönlicher Ebene nicht anders umgehen kann. Ein anderes Mal bat sie zusammen mit ihrem Freund in einem Video darum, die Leute mögen bitte nur noch nette Sachen schreiben, doch das war ein Schuss ins eigene Knie: die Kommentare waren dieses Mal noch viel böser („don’t vlog if you cant take the bad comments with the good“).
Das Leben der anderen scheint so viel mehr zu bieten als das eigene, vor allem Angriffsfläche. Es ist ja auch bequem: wenn man sich mit dem Leben Fremder beschäftigt, dann muss man sich nicht so viel mit dem eigenen verkorksten Leben auseinandersetzen.

Tut denn das Not? Geht es einem besser, nachdem man einen Hasskommentar geschrieben hat? Verpasse ich seit Jahren den größten Spaß?
Wenn ich mich umsehe, dann bin ich anscheinend ziemlich uncool. Es gibt mir keinerlei Befriedungen, Menschen im Internet zu sagen, dass sie stinken. Ebenso lache ich mir nicht heimlich ins Fäustchen, wenn ich Joko Winterscheidt twittere, dass seine Frisur hässlich ist. Mach ich einfach nicht. Wahrscheinlich (sogar ziemlich sicher) bin ich zu nett für Internet.

Immer wenn ich mich wieder dazu hinreißen lasse, Kommentare zu Themen zu lesen, die mir am Herzen liegen, dann ist mir so richtig zum Kotzen zu mute. Deluxe. Denn ich kann die Dummheit der Menschen einfach nicht fassen. Ich kann nicht fassen, dass Leute Hitler für ’n knorke Typen halten, die gleichgeschlechtliche Ehe für Teufelswerk halten, und hinter allem die nächste Weltverschwörung sehen. Das tut einfach weh, und liegt mir so schwer im Magen, dass ich im Strahl gegen die Wand brechen mag.
Wat nu?
Ironisch ist, dass einer meiner liebsten Blogs im Internet jener ist, der den schönen Titel „Everyone is entitled to my opinions“ trägt. Ich mag es ja manchmal, die Meinung von Leuten zu lesen. Wenn man den Eindruck hat, dass Leute einen gewissen Bildungsstandard haben, witzig sind, Ahnung haben, auf intelligente Art und Weise viele Schimpfworte benutzen. Ich finde andere Menschen spannend, beobachte gerne andere auf der Straße, gucke ihre Videos bei Youtube, und folge ihnen auf Twitter. Aber ich mische mich nicht ein.
Ich möchte niemandem die Freiheit absprechen, seine Meinung zu äußern. Freie Meinungsäußerung ist ein lang erkämpftes Gut, und auf diesem Planeten längst keine Selbstverständlichkeit. Doch ich frage mich, warum ganz offensichtlich niemand in der Lage ist, in einem vernünftigen Ton (also ohne den Betreffenden „Arschloch“ zu nennen) Kritik zu äußern.