Ich lehne mich jetzt weit aus dem Fenster und behaupte, dass viele von uns einen Großteil von 2016 einfach vergessen wollen. Was war das für ein Jahr. Der Tod von David Bowie Anfang Januar hätte uns schon warnen sollen – wenn ein Jahr so beginnt, dann kann da einfach nichts tolles mehr kommen. Die US-Wahl war der krönende Abschluss eines Jahres, über dass man nur mit einem starrend leeren Blick den Kopf schütteln und “What the…?” murmeln kann.
Auch auf persönlicher Ebene war es wieder ein viel zu anstrengendes und aufregendes Jahr. Da sich aber der Dezember anstellt ein angenehmer Abschluss zu werden habe ich mir überlegt, dass ich mal schauen könnte, was das Jahr so an schönen Dingen hervorgebracht hat.
Musik zum Beispiel.
Birdcage – Pete Doherty
Beginnend mit einer minimalistischen doherty’esquen Gitarrenmelodie entfaltet sich in Birdcage etwas total hymnisches. Anscheinend ist der Song schon einige Jahre alt, aber ich habe des Song gestern das erste Mal gehört und bin seitdem etwas besessen (und finde es daher legitim, ihn in meiner 2016er-Hitliste einzubinden!). Love is the bread / Love is the wine / Love is the soul’s hot coals. Der Song halt alles. Sketchy indie vibes, melodischen Gesang, tiefe Gedanken. Suzi Martins Stimme ist so eigen und gleichzeitig habe ich das Gefühl mit ihr schon so vertraut zu sein, dass man sich beim Hören zuhause fühlt – obwohl der Song ansonsten nicht unbedingt sehr zugänglich ist. Also, ich arbeite noch dran, aber liebe ihn jetzt schon.
Europe is Lost – Kate Tempest
Ein Stück auf meinem persönlichen Album des Jahres: Let Them Eat Chaos von Kate Tempest. Das Album erzählt die Geschichte eines Momentes (4:18 Uhr um genau zu sein) in einer Straße Londons, in dem genau 7 Leute gerade wach sind. Und jeder macht sich seine eigenen Gedanken, hat seine eigenen Sorgen. Die Beats sind roh und rau, der Ton ist wütend ob des Zustands der Welt. Hier geht es nun um Esther (der zweite Vorname von Kate Tempest – sicherlich kein Zufall), die als Pflegerin oder Krankenschwester arbeitet und eben denkt, was der Titel sagt: Europe is lost. Der Planet ist verloren, es passieren so viele furchtbare Dinge überall, und auch in Europa, wo rechte Populisten Land gewinnen und Menschen, die hierher fliehen und alles verloren haben, beschimpft und weggeschickt werden. Spätestens nach dem Song teilt man die Wut und man weiß genau, was auf politischer Ebene in 2017 passieren muss – und auf keinen Fall passieren darf.
PILLOWTALK – ZAYN
Wie lange ich es einfach geschafft habe, an allem 1D-artigen vorbei zu kommen. Dann erwischte mich irgendwann “Best Song Ever” und dann stellte ich fest, was für eine Augenweide Zayn Malik ist. Ich meine oh Gott, er ist so hübsch, dass es weh tut, und dann singt er auch noch so großartig, und hach. Bevor ich mich gleich nicht mehr zusammenreißen kann, komme ich zum Song der auch noch einer der sexiesten Songs dieses Jahres ist (ein anderer ist von Watsky, siehe unten).
A place that is so pure, so dirty and raw / In the bed all day, bed all day, bed all day / Fucking in and fighting on / It’s our paradise and it’s our war zone
Und wenn Zayn “fucking” singt, mit einem langen “fff”, als ob er es eigentlich gar nicht sagen will aber es einfach kein besseres Wort gibt, mit dieser Intensität, dann bekomme ich Gänsehaut. Da schäme ich mich auch nicht für, denn wie gesagt, guckt ihn euch an. Da bekommt jeder schwache Knie – wahrscheinlich würde ich ihn sogar auf meine Liste schreiben. Die reduzierten Klänge und das Echo verpassen dem Song eine Dringlichkeit, die jeder kennt, der schon mal richtig scharf auf jemanden war.
Going Down – Watsky
Um es gleich mal zu spoilern, der Titel hält was er verspricht: Es geht um Oralverkehr. Zu einem ganz hervorragenden mid-tempo R&B-Sex-Beat beschreibt er so wortgewandt wie niemand zuvor, wie es ist eine Frau oral zu befriedigen. Also, erstmal – dazu gleich mehr. Ähnlich wie für Amanda Palmer die Ukulele der Weg zum Weltfrieden ist, ist es für Watsky eating that V. Zumindest sollte man sich dabei mindestens so viel Mühe geben und es ist fühlt sich genauso gut an.
One taste and I’m wailing “god bless!” (god bless!) / Until you quiver I will not rest (not rest) / Licking repeatedly like your beaver’s a square reader / And my tongue is a VISA debit card that failed to process
Und jetzt der Twist! Es ist gar kein Song darüber, wie toll es ist, eine Frau zu lecken! Es ist auch nicht Manuel Neuer! Denn in Strophe 3 denkt sich Watsky, hey, wenn Oralsex mit einer Frau so gut ist – wieso dann nicht auch mit einem Mann? Und plötzlich hinterfragt Watsky mit seinem Song seine eigene sexuelle Identität und erkennt dabei: If I could get with it I’d have a wider ocean I’m fishing in / But I’m inhibited by my social conditioning. Das ist doch eine Message, die so 2016 ist, dass man es kaum aushält.
Drive it Like You Stole it – Sing Street
Zusammen mit diesem Song muss ich hier natürlich den Film aufführen, dem wir diese Hymne des Optimismus zu verdanken haben: Sing Street. Mehr darüber aber in einer anderen Liste. Die Musik im Film gedenkt einer Zeit, in der Musik noch richtig grandios war, und dementsprechend klingt auch dieser Song wie etwas, was man schon vor 30 Jahren im Radio gehört hat. Zusätzlich wurde er der Story im Film nach von einer Teenager-Band geschrieben, und so klingt es eben auch. Es ist gelungen, in altem Sound die Mentalität einer Gruppe Jungs einzufangen und transportieren, die gerade erst richtig ins Leben starten. This is your life / You can be anything / You gotta learn to rock and roll it / You gotta put the pedal down / And drive it like you stole it.
Mann, da kann 2017 doch kommen.