Und einer guckt sich den Porsche an

Es ist Sonntag und obwohl alle Geschäfte geschlossen haben, auf dem Land wie in der Stadt, ist viel los. Das Wetter ist wunderschön und viele nutzen den Tag für einen Fahrradausflug oder eine Spazierfahrt, und Teenie-Grüppchen die vergleichsweise brav aussehen ziehen gelangweilt über die vor kurzem erst neu und schick gemachten Fußwege. Dorfjugend, wie war das noch.

Der Hund von den Nachbarn kläfft viel zu laut, jedes Mal wenn man am Zaun vorbei geht. Selbst die, die den Hund gut kennen, vermögen ihn nicht zu beruhigen. Es ist unangenehm laut und die Nachbarn scheren sich darum unangenehm wenig. Durch die Hecke sieht man den Hund nicht, man hört ihn nur. Sobald die Haustür zu ist, ist Ruhe, der Hund ist vergessen.

Leere Räume und Baustellen sehen merkwürdig aus in einem Haus, das man zuletzt vor mehr als 20 Jahren in so einem Zustand gesehen hat. Nicht nostalgisch merkwürdig, eher spannend merkwürdig. Was passiert als nächstes? Kinder, Teenager, Parties, Dramen, Spieleabende, erste Küsse, Streits, Frühstücke mit frisch gepresstem Orangensaft – das Haus hat alles gesehen, sollte man meinen, und doch geht es immer weiter. Haus 3.0, wenn man so will.

Ich habe lange trainiert, Veränderung als etwas gutes zu sehen, und langsam gelingt es mir. Jedes Mal, wenn sich im Dorf etwas geändert hat, seit meinem letzten Besuch, freue ich mich irgendwie. Auch wenn man manchmal das Gefühl hat, so steht doch auch hier die Zeit nicht still. Es entstehen neue Wohngebiete, neue junge Familien ziehen ein, Kinder werden in ein paar Jahren einen neuen Neubau in der Grundschule besuchen können. Dort, wo mein Fahrlehrer früher seine Schule hatte, war seit einer Weile ein Frisörsalon. Der ist nun wieder weg. „Zu vermieten“. Die richtigen und wichtigen Dinge auf dem Dorf sind die, die bleiben.

Die Kirche zeigt sich im Sonnenschein von ihrer besten Seite. Ich mochte sie immer. Weniger weil sie für mich eine relevante Institution ist, sondern weil ich ihre gepatchworkten Mauern mag. Und weil ich dank ihr hervorragende Erinnerungen an schrille Stunden im Konfirmandenunterricht habe, an lustige Tage auf der Konfi-Fahrt mit Jahrgangskameraden, und das Verknalltsein, und wie die Konfirmanden zum Unmut des Pastors Texte umgedichtet haben. „Ausziehen, aufeinander zugehen, voneinenader lernen miteinander umzugehen“ – wie ein Wort doch den Sinn verändern kann, es war uns die reinste Freude.

In der Eisdiele, in der ich gejobt habe, ist noch recht wenig los. Seitdem ich dort gearbeitet habe, hat der Besitzer gewechselt, auch drinnen sieht es nun ganz anders aus. Wahrscheinlich arbeiten aber immer noch SchülerInnen dort, mit Cash am Abend bar auf die Kralle. Wie gesagt, die richtigen und wichtigen Dinge…

Wenn die Sonne scheint, und es Frühling ist und die Luft ein bisschen nach Pferdestall und frisch bewirtschafteten Feldern riecht, dann fühl ich mich wirklich wie zurück auf dem Land. Die Bäume blühen, Vögel zwitschern wieder, die Gärten machen Lust darauf im Gras zu liegen und später eine Grillparty zu machen. Die Nachbarn erzählen von der Ausbildung des Jungen und alles ist gut.

Das Land und ich, wir haben ein schwieriges Verhältnis. Die letzten Jahre habe ich mich dort oft eingesperrter und bedrängter gefühlt, als in der Großstadt. Nach wie vor genieße ich die Anonymität der Stadt, und dass ich nicht ständig entfernte Bekannte von mir und meiner Familie treffe, denen ich von meinem Leben erzählen muss. In sanften, kleinen Dosen finde ich das immer sehr schön und nett, aber zurück in der Stadt bin ich dann auch wieder ganz froh. Zudem finde ich es befremdlich, wenn Leute niemals ihr Heimatdorf verlassen haben. Ich weiß nicht, was es ist, dass einen für immer dort hält, aber viele machen es so. Der Buschfunk im Dorf war für mich immer anstrengend, und ich genieße die Auszeit noch. Aber in letzter Zeit wird es wieder etwas sympathischer.

Wie viele Supermärkte braucht ein Dorf? Als ich klein war, gab es Aldi, Edeka und Schlecker. Dann kam Rossman, und Kik. Aldi und Edeka zogen um und vergrößerten sich, Penny kam, Schlecker ging. Inzwischen gibt es noch einen Sky. Dem Dorf geht es sehr gut, man sieht es an allen Ecken. Zumindest bekommt man den Eindruck, wissen tue ich es nicht. Alles ist sehr klein hier. Bis auf die Kirche, die Supermärkte und die Pferdeställe.

Als wir zurückfahren, zieht neben uns das Gewerbegebiet vorbei. Eine Glaspyramide bewirbt Fenster oder Wintergärten oder so, ich kann es mir nie merken obwohl dieses Ding zu einer meiner Kindheitserinnerungen gehört. Der Möbelhändler baut um, der neue Baumarkt im neuen Gewerbegebiet steht noch etwas verloren dar. Auf der großen Wiese vor dem Autohändler steht ein roter Porsche. Ein älteres Modell, sowas echt prolliges. Davor steht ein junger Mann mit seinem Fahrrad.

Und einer guckt sich den Porsche an…