Positioniere dich

These: Der Mensch trifft nicht gerne Entscheidungen. Der Mensch mag viel lieber Optionen. Diesen Genussmoment, wenn man die Wahl hat – denn die Wahl zu haben zeugt von Privileg, Luxus, Bildung, Kapitalismus.

Nach einer Entscheidung allerdings, ist das weg. Die Welt ist plötzlich dunkel, nachdem man eine Wahl getroffen hat, weil man viele Türen schließen musste. Man geht nun nur noch in die eine Richtung. Das eine Studium, der eine Job, der eine Mensch, der eine Handyvertrag, die eine Jeanshose, das eine Hotel. Was bloß, wenn etwas anderes besser gewesen wäre? Wenn man sich falsch entschlossen hat etwa? MUSS ICH ES NUN MEIN GANZES LEBEN BEREUEN WEIL ICH EINEN CAIPI UND KEINEN MOSCOW MULE BESTELLT HABE.

Ich halte ja von dem Konzept der Reue überhaupt nichts. Klar, auch ich denke über die ein oder andere Entscheidung, die ich in meinem Leben getroffen habe: war irgendwie blöd. Aber ich kann es ja nicht ändern. So viel ich mit Grübelei und Depressionen zu tun habe, so plagen mich diese Dinge zumindest nicht aus Reue. Meine Marschrichtung ist vorwärts. Wenn ich meine, eine Entscheidung falsch getroffen zu haben, muss ich vorne gucken, wie ich aus der Scheiße wieder rauskomme: Vertrag kündigen, Jeans umtauschen, Drink zurückgehen lassen aus improvisiertem Grund, mich entschuldigen, neuen Job suchen, und so weiter. Manchmal geht das nicht. Einfach, weil einem bestimmte Sachen vielleicht finanziell nicht möglich sind (einen schweineteuren Flug ohne Rücktrittsversicherung fallen lassen zum Beispiel), oder einem die Gesellschaft Steine in den Weg legt, wenn man nicht zu einer privilegierten Bevölkerungsgruppe gehört. Aber auch dann geht es nur nach vorne, mit neuen Entscheidungen. Man muss es manchmal auch aushalten können, falsch gewählt zu haben.

A propos Wahl (Wow diese Überleitung einfach ich könnt mich küssen). Ende Mai ist wieder eine. Europa. Parallel zum beginnenden Wahlkampf gibt es viele aktuelle heiße politische Themen, davon einige die mich ziemlich beschäftigen.

2017 bin ich einer Partei beigetreten. Den Grünen. Diese Entscheidung fiel mir nicht leicht. Ich hab viel recherchiert und gelesen im Voraus um herauszufinden, welche Partei ich für so unterstützenswert halte, ihr nicht nur meine Stimme zu geben, sondern sogar Mitglied zu werden. Für mich ist meine Partei das geringste Übel. Niemand ist perfekt. Musste ich mir schon doofe Sprüche von meinem Freund anhören, wenn jemand Grünes mal Quatsch gesagt hat? Klar. Habe ich mich geärgert, dass von den Grünen im Europaparlament tatsächlich Abgeordnete für die neue Urheberrechtsreform gestimmt haben, obwohl sie nicht nur für YouTube, sondern für Kreative aus allen Branchen Shit ist? Boah und wie. Trotzdem: diese Entscheidung habe ich getroffen, da ich ansonsten andere Themen der Partei für dringend unterstützenswert halte.

Und ich bin froh, dass meine Parteimitgliedschaft mir ein neues Privileg verleiht: mich schnell und simpel, aber klar positionieren zu können. Denn das ist auch eine Entscheidung: Stellung zu beziehen, eine Meinung zu haben, diese auch zu teilen, politisch zu sein. Ich habe das Gefühl, in der Vergangenheit oft in Gesprächen gehört zu haben: „Da habe ich keine Meinung zu, da weiß ich zu wenig drüber.“ Habe ich selbst viel gesagt. Da schwingt auch die Angst mit, sich für eine Position zu entscheiden, und das später zu bereuen.

Was ich auch viel gemacht habe, ist meine Meinung nicht ehrlich zu kommunizieren, mich zurück zu halten, nur um mit meiner Position nicht anzuecken. Allerdings bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich wohl eine Meinung haben darf, ohne über etwas eine wissenschaftliche Abhandlung verfasst zu haben. Man muss nur damit leben können, vielleicht nochmal von etwas anderem überzeugt zu werden und sich somit zunächst falsch entschieden zu haben.Voll ok. Aber sich nur wegen dieser Angst vor Reue das Recht auf eine Meinung absprechen? No way.

Und auch anecken muss mal sein. Eventuell leistet man ja selbst Überzeugungsarbeit. Oder bringt jemandem was bei. Oder stellt einfach fest, dass das Gegenüber ein riesiges Arschloch ist, aber dann weiß man immerhin, mit wem man sich in der Zukunft nicht weiter befassen muss.

Ebensowenig wie ich mein Recht auf eine eigene Meinung der Angst vor der falschen Entscheidung unterordnen will, will ich meine Meinung dem gesellschaftlichen Harmoniebedürfnis unterstellen.

Ich will mich entscheiden, für eine Position, die ich vertrete. Und ich will, dass noch mehr Leute das tun. Sich entscheiden, wofür sie einstehen wollen. Ihre Meinung sagen. Und das auch auf politischer Ebene. Denn ich zumindest will in 50 Jahren nicht vor meinen Kindern für eine Welt geradestehen müssen, in der Künstler nichts verdienen sondern nur ihre Verwerter, deren Ökosystem kaputt ist, in der Frauen nach wie vor für Gleichstellung kämpfen, in der Kinderarmut und Superreiche nebeneinander her existieren, in der fürs Militär Unsummen ausgegeben werden, in der rechte Parteien einen erneuten Aufwind erlebt haben, in der unreflektierter Konsum alles kaputt gemacht hat – von der Natur bis zum Menschen.

Wir müssen eine Entscheidung treffen, was wir wollen. Und wir müssen Position beziehen. Jetzt. Denn ich kenne euch: ihr bereut das sonst.