Spaltende Affirmationen

Im aktuellen Zeitalter der erzwungenen Positivität, der Selbstoptimierung und der Dankbarkeitsübungen begegnet mir oft das Thema der positiven Affirmationen. Ähnlich wie das tägliche notieren von Dingen für die man dankbar ist sollen diese helfen, das Gehirn praktisch umzuprogrammieren. Man übt sich darin, sich auf die schönen Aspekte im Leben zu fokussieren, damit die negativen weniger ins Gewicht fallen, und verpasst sich mehr Selbstbewusstsein indem man sich selbst positiv bestärkt.

Das Prinzip ist dabei die Wiederholung. Wenn man es sich oft genug sagt, es oft genug hört, dann glaubt man irgendwann daran. Mich erinnert das an selbsterfüllende Prophezeiungen. Einmal ausgesprochen und als reelle Option betrachtet wird es auf jeden Fall so kommen. Das Prinzip funktioniert also in beide Richtungen.

Nun läuft bei uns seit Dienstag (heute ist Samstag der 7. November 2020) jeden Tag CNN. Im Moment sieht es gut aus, dass die Welt Trump loswird (auch wenn die Konsequenzen seiner Abwahl noch ausstechen), aber so wie die Zahlen derzeit aussehen kann rein rechnerisch noch alles passierend. Man ist dementsprechend nur zurückhaltend euphorisch.

Mich nimmt das mit. So sehr, dass ich schon die ganze Woche meine miese Laune an meinem Freund auslasse, meine Fingernägel runtergekaut und Lippenherpes bekommen habe (Ja ich habe sehr gesunde Methoden mit Anspannung umzugehen, das ist jetzt nicht Thema).

Ich habe eine, so sehe ich das inzwischen, angeborene Affinität zu den USA, weil mein Urgroßvater US-amerikanischer Soldat war und ich von klein auf Geschichten über ihn hörte. Ein Teil meiner entfernten Verwandtschaft kam daher und, so wissen wir dank umfangreicher Recherche meiner Mutter, lebt dort immer noch. Mein Vater befasste sich außerdem viel mit der Kultur und Geschichte amerikanischer Ureinwohner, und so sah ich auch viel davon bei uns zuhause.

Ich studierte Anglistik mit kurzen Ausflügen in Vorlesungen der Amerikanistik und konsumiere seit ich denken kann US-amerikanische Popkultur. Für eine kurze Zeit in meiner Jugend fand ich die USA natürlich Kacke, weil es 1. aufgrund der Außenpolitik zum guten Ton gehörte, ich 2. Fan von Green Day war („American Idiot“), und 3. die USA meine beste Freundin während der 11. Klasse für 10 Monate klaute. Ich kompensierte das mit vielen Sprüchen gegen die USA, bis wir uns sehr stritten (haben uns wieder vertragen zum Glück).

Wenn inzwischen andere über die USA lästern ertappe ich mich sogar dabei, sie zu verteidigen. Ich habe meine Zuneigung zu den USA über die Jahre, denke ich, positiv affirmiert. Es ist ein absolut verrückter Zusammenschluss von Staaten, viel zu groß, total beknackt, und geschichtlich schön reden muss man da auch nix, aber ich empfinde eben diese Verbindung. Und als ich es 2015 tatsächlich über den großen Teich für eine Woche nach New York City schaffte, war es ein unbeschreibliches Gefühl.

Außerdem sehe ich den weltpolitischen Einfluss der USA. Als Trump vereidigt wurde war es ein düsterer Tag für mich. Mein Bauchgefühl sagte mir, dass es eine Katastrophe ist. Eine Kollegin fragte mich damals, weshalb mich das so mitnehme, da würden wir hier doch nix von merken, und ich widersprach vehement. Inzwischen hat sich gezeigt, dass Trumps Einfluss auf die Welt tatsächlich signifikant war (z.B. mit dem Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen). Aber vor allem innenpolitisch hat er einiges an Schaden angerichtet.

Natürlich gibt es akut Menschen auf der Welt, denen es viel schlechter geht als der durchschnittlichen US-amerikanischen Bevölkerung. Ich möchte das kurz anerkennen und dann darauf hinweisen, dass so eben jeder seine Baustellen hat, an denen er sich abarbeiten kann, und dies ist eben eine meiner Baustellen.

So, nun läuft CNN. Die Moderatoren, Journalisten und Reporter dort scherzen, welcher Tag es denn sei, und ich fühle das sehr. Es ist ein Wahnsinn. Dieses Wahlsystem, diese Wahl, der noch amtierende Präsident… Es ist aus deutscher Sicht unvorstellbar. Der Frust im CNN Studio steigt besonders mit den Lügen über die Wahl von Trump. Sie diskutieren das seit Dienstag auf und ab und ein Satz fällt dabei immer wieder: Wir sind ein tief gespaltenes Land.

Wir sind ein tief gespaltenes Land.

Wir sind ein tief gespaltenes Land.

Und da musste ich an die Affirmationen denken. Wenn man es oft genug wiederholt, dann verfestigt sich der Glaube daran. Der sozialwissenschaftliche Begriff ist wahrscheinlich korrekter, dann nennt man es Framing. Ereignisse und Themen werden in ein Deutungsraster eingebettet, womit eine Bewertung, Deutung oder Handlungsempfehlung impliziert wird.

Die rot-blaue Karte der USA wäre vielleicht einfach nur eine Karte auf der man sehen kann, wer wo was gewählt hat. Die unterschiedlichen Wahlentscheidungen der Menschen wären eventuell einfach unterschiedliche Meinungen und Prioritäten. Aber das Framing deutet dies alles als eine tiefe Spaltung. Immer und immer wieder, und das sicherlich nicht nur auf CNN.

Das ist wie eine negative Affirmation, wie eine selbsterfüllende Prophezeiung. Ich habe es so oft gehört, dass es mir richtig schlecht geht – und ich lebe nicht mal dort. Ich denke, dass eines der größten Probleme der Welt dieses Wir versus Die Narrativ ist, und das kann nicht mal Corona und der Appell an gegenseitige Rücksichtnahme heilen.