Familienfabeln: Modische Diskussionen über Großwildkatzen

In ‚Familienfabeln‘ möchte ich kleine private Geschichten erzählen. Meine Familie ist nämlich höchst unterhaltsam. In Familienkomödien aus Hollywood denkt man immer, dass das alles vollkommen absurd ist, und dann kommt die eigene Familie um die Ecke und tut irgendwas, was mindestens genauso eine gute Geschichte hermacht.

Neulich war ich bei meinem Vater für eine mittelgroße Familienzusammenkunft. Alle waren da, mein Papa, seine Freundin, deren Tochter, mein Bruder, meine Großeltern, mein Onkel, mein anderer Onkel, meine Tante, und meine drei lieben kleinen/großen Cousinen (die älteste ist mittlerweile größer als ich… ich fasse es nicht, wie die Zeit rennt). Sowohl die Familie meiner Mutter als auch die Familie meines Vater haben ein außergewöhnliches Talent, sich für alle möglichen Themen begeistern zu können und leidenschaftliche Diskussionen zu führen. Ich liebe sie alle dafür, denn so sind Treffen mit der Familie stets höchst unterhaltsam.

An diesem Samstag entstand eine, in meinen Augen, ganz besonders abwegige Diskussion. Ich trug ein neu erworbenes Hemd von H&M, weiß und bedruckt mit kleinen Palmen und Wildkatzen. Um welche Art Wildkatze hatte ich mir bisher keine Gedanken gemacht, es war kein Löwe, kein Tiger, irgendwas anderes eben, aber die Hauptsache war, dass das Hemd total süß ist.

Ich und das total süße Hemd von H&M
Ich und das total süße Hemd von H&M

Mein Onkel sprach mich auf das Hemd an, weil es halt auffällt, und fragte nun, welches Tier das sei.

„Keine Ahnung,“ antwortete ich wahrheitsgemäß.

Schnell bekamen meine Cousinen davon Wind und betrachteten nun auch mein Hemd. Die These meines Onkels, das Tier sei ein Gepard, wurde schnell von allen umstehenden widerlegt: einfach zu fett.

Was blieb denn da jetzt noch? Leopard? Jaguar? Oder doch, so warf mein Onkel ein, ein Gepard? Die ersten Google-Suchen über die Smartphones wurden gestartet, jedoch ohne nennenswerte Erkenntnisse…

Nach und nach betrachteten alle Anwesenden mein Hemd und gaben ihren Senf zu der Diskussion. Bis das fertige Grillfleisch abrupt das Gespräch beendete – nun wurde der Senf auf dem Teller gebraucht. Ich zumindest war zufrieden, denn nun war ich, oder besser gesagt mein Hemd, nicht mehr der Mittelpunkt des Gesprächs. Es ist nicht so, dass ich es pauschal ablehne, im Mittelpunkt zu stehen. Nur ist mir lieber, wenn das in Situationen ist, zu denen ich tatsächlich etwas beitragen kann – hier konnte ich nur rumstehen und stillhalten. Und es brachte nicht einmal etwas!

Ich dachte nun also, das Gespräch um mein Hemd wäre vorbei, doch weit gefehlt. Wir wussten ja immer noch nicht, welches Tier es war! Also ging es wieder los. Nochmal zu Google. Nochmal Bilder gucken. Ich dachte mir derweil, dass ich nicht mehr dringend anwesend sein musste, und ging nach oben mit meiner jüngsten Cousine spielen. Allerdings nur, bis plötzlich jemand von unten rief: „Fiona! Wir brauchen dein Hemd!“

Man hatte bei Google Images ein Bild aufgetrieben, dass Jaguar und Leopard direkt gegenüber stellte. Mein Vater nahm nun das Ruder, oder besser das Smartphone, in die Hand, und stellte den direkten Vergleich an. Die Spannung war im ganzen Raum zu spüren.

„Das ist ja wohl ganz eindeutig,“ erklärte er. „Das ist ein Leopard!“

Hurra! Alle waren begeistert. Und ich ebenfalls, da ich fortan eine Antwort hatte, sollte mich tatsächlich noch einmal jemand fragen, welches Tier das auf meinem Hemd ist. Außerdem erkenne ich in solchen Fällen, dass meine Begeisterungsfähigkeit definitiv vererbt worden ist, und das mit Sicherheit aus beiden Teilen der Familie. Insgesamt war an diesem Abend sicherlich gut eine halbe Stunde auf das Rätsel der mysteriösen Großwildkatze aufgewendet worden. Und am Ende war es ja auch für mich ziemlich witzig.

Prolog

Zuhause erzählte ich meinem daheimgebliebenen, kranken Freund diese Geschichte, weil der Weg zur Lösung dieses Rätsels einfach so lustig und ein Highlight des Abends war. Der, ein IT-Systemtechniker und Profi-Googler, konnte gar nicht fassen, dass wir so lange gebraucht hatten, um rauszufinden, welches Tier das ist. Sei doch klar, fand er, „nur eines von denen rollt seinen Schwanz so ein.“

Also zwei neue Googlesuchen, einmal Leopard, einmal Jaguar, und gezielte Suche nach einem Tier, dass den Schanz hinten ein bisschen einrollt. Und da war es: ein afrikanischer Leopard. Mein Freund hatte dafür zwei Minuten gebraucht.

Doch es wurde besser, denn wir verglichen natürlich nochmal das Tier auf meinem Hemd mit dem auf dem Foto und stellten fest, dass das auf meinem Hemd nicht nur ein Leopard, sonder DER Leopard auf dem Foto war! H&M hatte tatsächlich ein Bild von Wikipedia als Vorlage für ihr Muster genommen. Faules Designerpack.

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