Wenn man sich in meinem Alter mit einem Menschen unterhält, den man gerade neu kennengelernt hat, dann kommt zwangsläufig irgendwann diese Frage. Die fragt nicht nach Ausbildung, Studium oder Beruf, weil mit Mitte 20 ja alles möglich ist.
Während meines Bachelorstudiums antwortete ich mit: „Ich studiere Anglistik und Kunstgeschichte.“ Darauf kam dann entweder erst die Frage „Auf Lehramt?“ oder gleich und ohne Umschweife die mit Verwirrung und Verurteilung gefüllte Gegenfrage: „Aha… Und was macht man dann damit?“ Wenn ich ein bisschen schlecht gelaunt war und Krawall wollte, antwortete ich „Taxi fahren“ und beendete das Gespräch im Anschluss zügig oder machte eine ebenso abwertende Bemerkung zur Karrierewahl meines Gegenübers. Wenn ich gut drauf war zählte ich alle Möglichkeiten auf, die GeisteswissenschaftlerInnen wie ich haben und fügte hinzu, dass es hier natürlich wie in jedem Studiengang übrigens natürlich dann zusätzlich auch auf berufliche Erfahrung ankäme.
Während meines Masterstudiums fügte ich zur Info „Ich studiere Kulturwissenschaften im Master an der Uni Lüneburg“ oft noch an, dass ich einen Werkstudentenjob hätte. Zunächst mein Job in einem namhaften Verlag. Das stieß auf viel Interesse und Nachfragen und generelles Wohlwollen und Anerkennung. Dann wechselte ich in eine Branche, die mir viel besser gefiel: die Arbeit mit Social Meida, YouTubern, Online-Creatorn, oder neudeutsch: Influencern. Den Job erklärte ich so dreimal, bis ich feststellte, dass die Reaktion hierdrauf noch abfälliger war, als die Reaktion auf mein Bachelorstudium.
„Ihr seid also die, die unsere Kinder abzocken.“ – „Da kann ich persönlich ja gar nichts anfangen.“ – „Können diese Leute denn überhaupt irgendwas?“
Nein; das kann ich mit deinem Job auch nicht, deswegen mache ich ihn ja nicht; und ja auf jeden Fall, sind meine Antworten auf diese unverschämten Entgegnungen. Menschen aus älteren Generationen sage ich oft, dass ich in einer Art Werbe- und Marketingagentur arbeite, die sich hauptsächlich auf Kampagnen im Internet spezialisiert hat. Damit können die meisten etwas anfangen und ich muss nicht das Phänomen der Influencer erklären. Doch ich habe mich in der Vergagenheit erwischt, wie ich auch vor jüngeren Menschen oft eine ähnliche Erklärung heranziehe, einfach weil ich nicht dazu genötigt werden möchte, mich für etwas zu rechtfertigen, hinter dem ich ansonsten absolut stehe.
Neulich erklärte ich einem Journalisten, den ich auf einem Festival kennengelernt hatte und mit dem ich mich über das Leben austauschte, dass ich wohl bald Vollzeit in der Firma anfangen würde, in der ich schon seit mehr als anderthalb Jahren arbeitete – und erzählte natürlich auch, was ich da so tat. Anstatt Freude für mich, dass ich übernommen würde, oder einfach mal freundliche Neugier, bekam ich eine bekannte zurückhaltende Reaktion: „Oooh, ahaaa, hmmm.“
Sprachlosigkeit. Influencer, das sind doch diese Idioten von YouTube und Instagram. Die, die Selfies posten, Produkte in die Kamera halten, und dafür unverdienterweise tausende Euro verdienen. Die, die hohe Geldstrafen für ekelhafte Pranks auf YouTube kassieren. Die, die schlechte Songs veröffentlichen. Die, die Schleichwerbung machen und unsere Kinder und Jugendlichen dazu verleiten, irgendwelche Produkte zu kaufen.
Und das ist nicht unbedingt falsch und gleichzeit so weit entfernt von der Realität, die ich und mein Team leben, dass es mich nur wütend macht. Na klar gibt es die schwarzen Schafe. Manche Influencer sind auch heute das, was in meiner Jugend Paris Hilton war – berühmt, einfach nur, weil sie sie selbst sind, und niemand weiß so recht wieso. Aber diese Seite gibt es in jeder Branche. Es gibt Journalisten, die sich so schimpfen und aber für die BILD arbeiten. Es gibt Betrüger, Heuchler, Klein- bis Großkriminelle in jedem Berufsfeld.
Mir würde es niemals einfallen, andere Menschen pauschal für ihre Berufswahl aufgrund dieser schwarzen Schafe zu verurteilen. Du bist Krankenschwester? Sind das nicht die, die ihre Patienten nur noch halbherzig betreuen, weil sie meinen Zeitnot zu haben und überlastet zu sein? Du arbeitest für Nestlé? Du bist also dafür verantwortlich, dass die Menschen in Afrika verdursten? Du bist Politikerin? Ihr seid doch die, die nichts gegen den Klimawandel machen!
Ne. Ne, das funktioniert so nicht. Deswegen funktioniert das auch bei uns nicht. Wir kümmern uns um eine Menge talentierte und ambitionierte junge Menschen und sorgen dafür, dass sie von dem, was sie lieben, leben können (Klingt geil, ist auch so). Das klappt zum Beispiel durch Kooperationen mit Werbefirmen. Wir halten dabei nicht nur den qualitativen sondern auch den moralischen Anspruch an uns hoch. Schleichwerbung ist illegal und passiert bei uns nicht. Den Kids wird genau gezeigt was Werbung ist. Von unseren Influencern erwarten wir, dass sie für Gagen, die sie bekommen, auch einen verdammt guten Job machen. Ich zähle uns zu den Guten – aber wieso ich das tue, ist meinen Gesprächspartnern oft egal.
Ich möchte ja auch gar nicht rumheulen. Das ist zum Glück nun mein Beruf, der mir sehr viel Freude macht. Ich habe ein tolles Team um mich und die Arbeit ist aufregend, und wer mich und meine Entscheidungen da nicht verstehen möchte, dem muss ich es auch nicht erklären. 🙂
Ich muss nebenbei auch zugeben, dass ich es nicht im Geringsten verwerflich finde, Werbung zu machen. Kapitalismuskritik und mein kleiner innerer Kommunist hin oder her: ich bin mit Werbung um mich herum aufgewachsen und ich gehe davon aus, dass es sie geben wird solange ich lebe. Wichtig ist mir eins: Dass jeder sehen kann, wenn etwas Werbung ist. Ich möchte nicht, dass ich oder andere Menschen in der Welt der endlosen Bilder am Ende nicht mehr trauen, weil sie das Gefühl haben, dass alles ihnen etwas verkaufen möchte. Es muss klar sein, was meinen Kaufdrang antreiben will, und was nicht.
Die Teenies heute sind ebenso mit Werbeanzeigen konfontiert wie ich damals, nur auf anderen Kanälen. Während ich auf SuperRTL das neuste Spielzeug in der Werbung sah, das meine Sehnsüchte weckte, und als Teenie in Magazinen Anzeigen sah und Outfittipps mit Marken und Preisen las und ich anfing, diese Dinge nachzukaufen, sehen die Jugendlichen heute exakt das gleiche, nur eben bei Influencern. Ich halte das außerdem für nicht mehr und nicht weniger verlockend, als die konventionelle Werbung aus meiner Jugend. Ich vertraute halt in die redaktionelle Leistung meiner liebsten Zeitschrift, die Teenies heute vertrauen in die Tipps der Influencer.
Es gibt viele Studien, die nahe legen, dass viele Teenager leider gar nicht erkennen, wenn etwas Werbung ist – und das wird dann pauschal Unternehmen, Agenturen und Influencern in die Schuhe geschoben, ohne das Gesamtbild zu sehen. Ja – wenn Unternehmen, Agenturen und Influencer Anzeigen nicht korrekt markieren, die Follower nicht genügend dafür sensibilisieren, oder ohne Sinn und Verstand alle Deals eingehen, die ihnen angeboten werden, dann können sie da etwas für. Aber ebenso wie bei der anscheinend ausufernden Handynutzung vieler Jugendliche, sehe ich hier Schulen und vor allem Eltern in der Pflicht. Jugendliche brauchen Medienbildung. Medien sind überall, und der Umgang mit ihnen muss gelernt werden wie eine Fremdsprache. Zudem kopieren sie oft, was ihre Eltern ihnen vorleben. Wenn Mama den ganzen Tag am Smartphone hängt, macht ihre Tochter das bestimmt auch.
Ach, ich schweife hier gerne ab, denn ich bin ohnehin der Meinung, dass unsere Jugendlichen, über die so gerne gemeckert wird, einzig und allein das Produkt unserer Gesellschaft und ihrer Eltern sind. Die Boys und Girls sind so, wie wir sie geformt haben – und immer noch verdammt gut drauf!
Nach wie vor halte ich die Branche der Creator, YouTuber, Blogger und Influencer, welchen Begriff man auch immer bevorzugt, für eine wahnsinnig spannende, tolle und inspirierende Szene und wünschte manchmal, es hätte schon in meiner frühen Jugend YouTuber gegeben. Ja klar, gibt es die Idioten, aber wie überall anders muss man sich dann gegen diese positioneren und positive Beispiele schaffen. Ich denke nach wie vor, dass in der Szene der Webcreator irre viel Potenzial steckt, und es gibt dort endlos viele kreative schlaue Leute die einen wahren Mehrwert für die Welt schaffen.
Marie Meimberg würde mir nun vielleicht mitleidig über den Kopf streicheln, weil ich manchmal noch recht gutmütig und naiv auf das Geschegen blicke, während Robin Blase mir gratulieren würde, dass ich die negativen Aspekte zwar erkenne aber trotzdem Gas geben will, den Ruf des Ganzen umzukehren und geile Projekte umzusetzen.
Nie ist alles Gold was glänzt. Aber ich liebe Social Media. Ich liebe es, durch Instagram zu scrollen und dort selbt Fotos hochzuladen, ich liebe es auf diesem Blog meine Gedanken mit Menschen zu teilen, und ich habe die Zeit meines Lebens wenn ich die Videos meiner liebsten YouTuber gucke. Die Szene verändert sich ständig, aber das tue ich auch, und vielleicht passe ich deswegen so gut dazu. Ich liebe den Input, ich liebe die Ideen. Ich liebe es, was mit Medien zu machen. Ich kann da noch so viel mehr zu sagen, zu erklären, zu dem ganzen Shit und zu den tollen Sachen, ich habe da nichts zu verstecken und muss auch nicht so tun als wäre da alles geil. Aber es ist spannend und wir holen das beste hier raus – und wer sich ehrlich dafür interessiert, dem bringe ich das alles auch immer gerne näher. Nur eben eine Bitte: Hört auf, Menschen pauschal für ihre Berufswahl zu verurteilen. Das wäre so knorke.
Und was machst du so?