Es ist 21:31.
Wir sind irgendwo auf der Autobahn irgendwo in Belgien. Nils hat sich gerade ein Handtuch, das über der Sitzlehne hing, als Stütze hinter den Kopf geklemmt. Er fährt uns schon durch diesen ganzen Urlaub und ich fühle mich sicher und gut aufgehoben. Eine Frau liest uns die Kurzgeschichten von Oscar Wilde vor.
Es ist 21:36 auf dem Armaturenbrett, mein Handy sagt 21:33. Jetzt 34.
Nach Hause sind es noch ein paar Stunden, dennoch wollen wir schauen, wie weit wir noch kommen. Wir sehnen uns nach unserem Bett, unseren Katzen, unserer Dusche, unserer Toilette.
Dabei war das ausstattungstechnisch echtes Edelcamping für unsere Verhältnisse, verfügt der von uns ausgeliehene Van von meinem Papa doch über eine ausgesprochen gut funktionierende Nasszelle. Die Hauptsache hier ist die Zufuhr von Wasser und hier und da ein Ort, um die Kassette des Chemieklos zu leeren – aber das ist in Frankreich zum Glück recht easy.
Wir haben nur eine Nacht auf einem Campingplatz verbracht. Ansonsten waren wir an Klippen und Ufern und Wegen und Wäldern und am Atomium in Brüssel. (Wen es interessiert: die App Park4Night ist dafür Gold wert.) Das Wetter war eher norddeutsch als französisch und so verbrachten wir viel Zeit im Van, mit Blick aufs Meer, mit Cidre.
Eine ziemlich gute Strecke haben wir gemacht und wir haben viel gesehen, dafür, dass wir nur eine Woche unterwegs waren und das Wetter nur so mittel war. Brüssel, Brügge, dann an der Küste lang, durch die Normandie, zum Mont Saint Michel, runter an die Südküste der Bretagne, die Hinkelsteine von Carnac, der Golf von Morbihan, Vannes, Rennes, das Haus und der Garten von Claude Monet, abschließend ein kurzer Spaziergang im Regen durch den Park von Versailles. Und zwischendurch Zeit zum sitzen und gucken, Tagebuch schreiben, kochen. Und Cidre trinken natürlich.
A propos Tagebuch, ja ich versuche wieder mehr zu schreiben. Langsam macht es wieder Spaß und es strengt mich nicht mehr so arg an. Zeit also, um hier mal wieder einen spontanen Text reinzuhacken. Immerhin bezahle ich für meine wunderbare URL mit meinem wunderbaren Internet-Nicknamen, für den ich inzwischen von meinen lyrischen Idolen Judith Holofernes und Anja Rützel Komplimente bekommen habe.
Es ist 21:47.
Vor uns machen zwei Autos großen Quatsch, wechseln von einer Seite auf die andere, einer plötzlich mit Warnblinker, dann plötzlich Licht aus, wieder beide auf die andere Spur, Licht an, Lichthupe, Blinker… Blöde Idioten.
Ich bin ein bisschen traurig, dass mir der letzte Urlaubstag durch undefinierbares Unwohlsein etwas vermiest wurde. Schlecht geschlafen, dann großen Hunger, dann kalt, dann warm, dann zum Heulen zumute, dann war mir schlecht. Ich will einfach nie wieder durch Kreisel fahren. Warum ist ganz Frankreich ein einziger Kreisel, und warum schwankt dieser Camper bloß so sehr. Musste lange die Augen zumachen und die Straße wegmeditieren. Irgendwann ging es wieder, als wir endlich auf der Autobahn waren. Und dann gab es, weil es das in jeden Ferien seit immer schon jeweils einmal gibt, Essen von McDonald’s. Ja, ich höre euch ächzen und mit den Augen sollen, böser Fleischkonzern, aber selten haben mir Chicken Nuggets so gut geschmeckt. Eben gab es noch ein Magnum für mich, sodass nun nicht nur der Bauch, sondern auch die Seele wieder glücklicher sind.
21:57.
Die Seele, achja, mein Lieblingsthema. Ich finde langsam Antworten, was meinen Kopf so umtreibt. Und Hilfe, damit umzugehen. Kann ich ja vielleicht mal drüber schreiben, sobald ich einen Weg finde darüber zu sprechen, ohne die lesenden Freunde, Kollegen und Familienmitglieder zu sehr zu beunruhigen. Ich nehme mal vorweg: es ist okay, ich arbeite daran, es wird nur einfach ab und an ein bisschen grau und leise um mich herum und der Alltag ist öfter mal eine größere Prüfung als die Praktische beim Führerschein. Wer da mehr wissen will oder einfach mal wieder Hallo sagen mag: ich freue mich immer über Nachrichten und antworte gern (tue mich nur oft schwer damit, die erste Nachricht abzuschicken).
Es ist 22:06 und ich bin stolz zu berichten, relativ motiviert aus dem Urlaub zurück zu kehren. Habe ein paar Baustellen ausmachen können, um die ich mich Zuhause kümmern muss, und auf die ich Lust habe. Step by step die äußeren Umstände anpassen, sodass die gemeinen Sachen nicht mehr so schwer wiegen – das ist meine Mission für den Rest des Jahres. Meine Mission für heute ist allerdings nur noch schlafen. Entweder, bis Nils die Nachtpause ausruft oder bis wir Zuhause sind. Beides ist mir ausgesprochen recht.