Weltschmerz, der:
die seelische Grundstimmung prägender Schmerz, Traurigkeit, Leiden an der Welt und ihrer Unzulänglichkeit im Hinblick auf eigene Wünsche, Erwartungen.
Letzte Woche surfte ich mit meinen üblichen Apps durchs weltweite Netz, als mich ein ungutes Gefühl einholte. „Alles ist furchtbar“, echote es durch meinen Kopf, und mein Bauch war flau. Die Nachrichten waren schrecklich. Die Leute waren dumm. Die Kommentare waren giftig. Die Bilder deprimierend aus allerlei Gründen. Ich legte das Telefon weg und wollte es nie wieder anfassen.
Ein akuter Fall von Weltschmerz. Es ist Krieg, es ist Corona, es ist Verletzung von Menschenrechten, es ist ein wahnsinniger US-Präsident, es ist Ungerechtigkeit, es ist Zukunftsangst. Ich kann die Abkehr vom Internet, von Nachrichten und von Social Media manchmal nachvollziehen. Warum gucke ich mir das eigentlich an, frage ich mich, und will Friends gucken, nochmal, Sims spielen, oder Pokemon, in Welten fliehen ohne unangenehme Überraschungen. Wenn es einem nicht gut geht, dann kann einen die Welt in ihrer Wucht sicherlich noch zusätzlich erschlagen.
Bislang war ich immer sehr verständnisvoll. Man muss sich erst einmal um seine eigene Psyche kümmern, bevor man sich um das Leid der Welt sorgen kann – fand ich, und machte es selbst so. Wenn andere es genauso machten konnten wir uns auf die Schultern klopfen und weiter unseren Weltschmerz-bedingten Eskapismus leben. „Man kann sich ja nicht um für alles engagieren“, befand ich und nahm es als Ausrede, keine Nachrichten mehr zu lesen.
Aber irgendwie, irgendwie kann ich das nicht mehr; so wie ich zwischendurch mal keine Nachrichten mehr lesen konnte, kann ich jetzt nicht verstehen, wie man die Welt um sich herum einfach ignorieren kann. Ich fühle euren Weltschmerz mit, aber die Lösung kann nicht sein sich von eben jener abzukapseln. Damit bewegt sich nichts.
Ich will auch gar nicht, dass nun alle gleich Aktivisten werden oder all ihr Geld spenden oder in eine Partei eintreten. Aber wenn man weiß, was in der Welt passiert, und vielleicht bei einem Gespräch in der Büroküche einmal jemanden von einer anderen Sicht überzeugen kann, einfach weil man mitgelesen und zugehört hat – dann hat es einen Unterschied gemacht.
Inzwischen glaube ich, dass gerade wir am privilegiertesten Ende der Gesellschaft den Weltschmerz echt einfach aushalten müssen. In sehen, ihn spüren, ihn fühlen, dem Gefühl standhalten, und es nicht verdrängen, sondern es verarbeiten. Wir sind die, die total bequem etwas ändern können. Warum tun wir es nicht.
Das Tattoo auf meinem Arm ist das Wort „Melancholie“, als Erinnerung daran, dass vermeintlich negative Gefühle in positive Dinge übersetzt werden können (nicht müssen, übrigens, und nicht unbedingt, aber die Möglichkeit besteht). So viel Kunst ist aus der Melancholie entstanden. Ich denke, der Weltschmerz schlägt in dieselbe Kerbe.
Alles ist furchtbar. Und jetzt?