Über das Fan-Sein im 21. Jahrhundert

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Wenn ich an mein Kinder- und Jugendzimmer denke, erinnere ich mich neben vielen Klamotten auf dem Boden vor allem an Poster. Jeder Schrank und jede Wand, voll mit ihnen. In jeder Ecke. Die Dachschräge in meinem Zimmer war zugepflastert mit Postern. Ich glaube man kann auf einigen meiner Selfies, die damals noch nicht so hießen und die ich mit meiner Digitalkamera schoss, diese Wände im Hintergrund sehen. Wenn ich mal Kinder habe werde ich auf jeden Fall Fotos ihrer Zimmer zu verschiedenen Zeitpunkten machen, denn ich wünschte jetzt ich könnte mich genauer daran erinnern, wie es bei mir aussah.

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Irgendwann waren es wohl vor allem Bilder von Orlando Bloom, Tokio Hotel (JA, ich weiß, ich war eine von denen), Green Day und ein wildes Sammelsurium an coolen trendigen Werbeanzeigen aus Mädchen- und Jugendmagazinen und anderen attraktiven Männern. Bands, Schauspieler/innen, Musiker/innen, Fußballer – das waren meine Stars. Das waren die Gesichter, zu denen ich an meiner Wand wortwörtlich aufsah.

Ich liebte es, in Magazinen den ganzen Klatsch über sie zu erfahren, sowie private Details, Vorlieben und Hobbies, einfach die ganzen Infos, die irgendwie spannend waren. Ich sah stundenlang MTV und Viva und zappte hin und her, um endlich das Musikvideo meiner neuen Lieblingsband zu sehen – denn schließlich hatte ich die CD noch nicht und das war die einzige Möglichkeit, den Song zu hören. Wir tauschen CDs und DVDs und stöberten Magazine durch nach den heiß ersehnten Fakten über unsere Idole. Unser Fan-Sein war von der Berichterstattung der Medien abhängig. Von Redakteuren, die ein Interview für spannend genug und das Video für sendenswert hielten. Unsere Stars irgendwann treffen? Hah, ein weit entfernter Traum. Wie kommt man schon an Hollywoodstars und Bands ran?

In der Generation meiner Eltern klingen diese Geschichten nochmal ganz anders. Nach Abenden mit Tapes vor dem Radio, an denen man gewartet hat, endlich bestimmte Songs aufnehmen zu können. Und wenn sie kamen, hat der Moderator am Ende reingequatscht. Musikfernsehen war eine kleine Revolution. Neu und heiß. Musikfernsehen heißt jetzt YouTube. Fan-Sein, das nimmt heute ganz andere Züge an, und wenn man dieses Phänomen historisch betrachtet, dann ist es ein leichtes zu erkennen, weshalb es Vor-2000-geborenen schwer fällt es zu verstehen.

Abgesehen von den obligatorischen It-Girls und TV-Phänomenen war es bisher meist so, dass die Menschen, von denen man Fan war, ein ganz bestimmtes Talent hatten, durch das sie berühmt wurden. Heute kann jeder berühmt werden. Social Media hat seine eigenen Stars hervorgebracht, die im Idealfall zwar auch talentierte und kreative Köpfe und spannende Persönlichkeiten sind, aber vor allem eines: wie du und ich. Unsere Teens sind quasi Fans von Mitschülern.

Alles was diese Mitschüler anders machen? Vielleicht haben sie ein etwas hübscheres Gesicht, haben Bock auf Fotos schießen oder Videos drehen, und haben sich entschlossen ihr Leben mit der Welt zu teilen. Das reicht oft schon, und ob nun mit oder ohne Konzept dahinter, gibt es inzwischen endlos viele junge Menschen, die hunderttausende Teenager ihre Fans nennen können. Und das, obwohl sie selbst ganz normal zur Schule gehen, oder eine Ausbildung machen, oder studieren, oder ihren Job haben, der mit dem Social Media Gedöns nichts zu tun hat.

Wenn heute eine Jugendliche von einer Vloggerin (Blog nur in Videoformat für alle vor 1995 geborenen) Fan wird, dann ist das zudem ganz anders, als meine Fanerfahrung. Alle Infos, die diese Jugendliche über ihr Idol erfährt, kommen ungefiltert direkt von dieser Person. Ob es nun ein Bild ist oder ein Video oder ein Blogpost – die Social Media Stars füttern ihre Fans selbst, und ihre Fans bekommen diese Fakten auf allen Kanälen mit. Solange du alles liest ist es einfach, mit deinem Idol up-to-date zu bleiben.

Und jetzt kommt der Knüller: Ich finde das ziemlich genial. Und ja: obwohl das auch Gefahren birgt. Was noch gelernt werden muss, ist dass auch Social Media Stars nicht ungefiltert alles über sich erzählen. Sie sind ihre eigene Redaktion, die entscheidet, was die Öffentlichkeit erfahren soll. Da müssen die Fans lernen, dass ein Bild online nicht das komplette Bild der Person ist, und die Social Media Stars müssen einschätzen lernen, wie viel preiszugeben ist. Da sind wir zugegebenermaßen in einer Experimentierphase, aber ich habe den Eindruck, dass es etwas besser wird.

Und weshalb finde ich das jetzt gut? Weil ich versuche, es aus der Sicht meines 14-jährigen Ichs zu betrachten. Schauen wir nochmal an den Anfang: Bilder von Fußballstars an meiner Wand? Ja, ich habe mich etwas mit Fußball beschäftigt und Welt- und Europameisterschaften geguckt, aber das war nicht mal mein Lieblingssport. Werbeanzeigen? Wahrscheinlich waren sie auf der Suche nach einer Ästhetik, die mich anspricht, das einzig wirklich verfügbare. So viele Poster von Männern? Ja, sexy und so, aber wo waren denn abgesehen von Avril Lavigne und P!nk meine weiblichen Vorbilder?

Heute haben die Teenies die Möglichkeit, sich Idole und Vorbilder zu suchen, die ihnen wirklich entsprechen. Die tatsächlich Inhalte produzieren, die für die Teenager ganz indivuduell spannend sind. Na klaro gibt es da auch die Gesichter, die irgendwie alle gut finden. Aber über die hinaus besteht nun die Möglichkeit, Fan zu sein von Menschen, die viel besser zu einem passen. Die das erfüllen, was man als Teenie braucht, was auch immer das sein mag – ein Stylevorbild, ein Motivator, ein Videokünstler, eine Makeup-Ikone, ein Cartoonist… Sie sind alle eine Instagram- und YouTube-Suche entfernt.

Welche Poster heute an meiner Wand hängen würden? George Watsky, Dodie, Casey Neistat, Anna Akana, Louise Pentland und Grace Helbig.