Während der letzten Monate habe ich mich in etwas geübt, was mir soweit ich mich erinnern kann, irre schwer fiel: loslassen. Ich tendiere dazu, mich emotional nicht nur an Menschen sondern auch an alles mögliche andere materielle und immaterielle zu binden und sobald dann etwas freiwillig oder unfreiwillig gehen gelassen werden muss, stürzt mich das in unterschiedlich tiefe Krisen.
In letzter Zeit ist mir das immer bewusster geworden. Zum Beispiel, als ich mich während und nach meinem letzten Umzug mit meinem riesengroßen Berg an Klamotten befasst und einige Stücke aussortiert habe. Ich hielt Hosen in der Hand, die ich als Teenager gekauft und getragen hatte. Die waren inzwischen weder modisch, noch nach meinem Geschmack, noch meine aktuelle Kleidergröße, aber trotzdem hielt ich sie fest und musste mich überwinden, sie in den Flohmarkt- und/oder Spendenkarton zu legen. Seitdem bin ich in mehreren Etappen erneut an meine Kleidung gegangen und habe immer wieder Stücke gefunden, von denen ich einsehen musste, dass ich sie ewig nicht getragen hatte, aber von denen es mir schwerfiel, sie auszusortieren.
Manche Hosen erinnerten mich daran, wie gut ich mich darin immer fühlte, und wie ich sie auf Parties trug. Manche T-Shirts erinnern mich an Festivals, manche Pullover an bestimmte Leute. Diese Stücke auszusortieren, fühlt sich manchmal an, wie Erinnerungen zu verlieren.
Ihr könnt es euch sicherlich vorstellen: Wenn ich schon solche Probleme habe, Kleidungsstücke loszulassen, dann fällt es mir in anderen Lebensumständen noch viel schwerer, mich zu trennen. Die schlimmste Trennung war daher auch meine Trennung und der Abschied aus einer jahrelangen Beziehung. Um das über mich zu bringen und auch noch auszuhalten brauchte es einen Katalysator und ein Auffangnetz – zum Glück hatte ich beides. Aber das Erlebnis hat mir gezeigt, dass loslassen sehr sinnvoll ist.
Und loslassen, das kann man ja alles. Menschen, Kleidung, Schuhe, Bücher, Schmuck, Gedanken, Gefühle, Orte… you name it. Menschen loslassen ist dabei meines Erachtens nach das schwierigste und schlimmste. Denn meist beinhaltet das eine große Distanz, eine Trennung, einen Streit, oder vielleicht sogar den Tod – also solche Sachen, die so richtig scheiße sind. Ob das dann ein bewusstes loslassen oder ein unfreiwilliges gehenlassen ist, so geht es dabei doch um Leute, über die man sich mal freute, sie in seinem Leben zu haben. Loslassen ruft die ganzen wundervollen Erinnerungen auf den Plan, und ich persönlich baue dann innerlich eine Mauer um sie herum, die vermeidet, dass ich einsehe, dass es nun wirklich vorbei ist. Was ich nun versuche zu lernen, ist mir ganz im Sinne der Helden den Vorschlaghammer zu holen. Denn ich habe erkannt, dass ich Altes loslassen muss, um mental neuen Platz machen zu können für die neuen Dinge, Menschen, Gedanken und Gefühle, die sich dann entfalten können.
Losgelassen habe ich auch, als wir vor ein paar Monaten mit meinen Eltern und meinem Bruder zusammen auf unserem Dachboden aufgeräumt haben. Man muss sich unseren Dachboden als einen Ort vorstellen, der 20 Jahre lang Zeug von vier Menschen aufbewahrt hat, der anderswo keinen Platz mehr fand. Das bedeutet Kartons voller Kindheitserinnerungen, Spielzeug, Bilder, Taschen, Schuhe, Klamotten, Regale, Kasetten, CDs und Schulsachen. Das war völliger Irrsinn. Ich hatte mir noch nie bewusst gemacht, wie viel Scheiß wir dort oben tatsächlich aufbewahrt hatten und war schnell ganz untypisch und radikal in einer „Weg-damit“-Stimmung. Wir suchten nur einzelne wichtige Erinnerungsstcke raus, wie bestimmte Kinderbücher, Stofftiere oder Souvenirs, fotografierten manche Bilder, und trennten uns dann von dem Kram, der übrig blieb. Wenn man sich nicht mehr daran erinnern konnte, musste man sich daran auch nicht festklammern. Ich versuche nun dieses Gefühl wieder aufzurufen, wenn ich mich daran mache, anderen Kram loszulassen.
So auch Gefühle, Gedanken oder Pläne. Ich hatte zum Beispiel den Plan, mit Ende des Wintersemesters 17/18 mit meinem Studium fertig zu sein. Ratet mal, wer sich gerade für das Sommersemester 18 zurückmelden musste. Durch meine Lebensumstände hat sich leider ergeben, dass ich mehr Zeit brauche für meine Abschlussarbeit. Mehr Zeit an dieser Universität verbringen als notwendig widespricht allen meinen Plänen. Ich habe ewig gebraucht, um meinen ursprünglich Plan diesbezüglich loszulassen und einzusehen, dass ich mehr Zeit benötige und dem entsprechend weniger Stress. Und Stress, den will ich erst recht loslassen.
Negative Gefühle positiv umsetzen, das ist schon seit einer Weile mein Mantra und das worauf ich bei diesem ganzen Loslassen-Gedöns eigentlich hinaus möchte. Wenn ich Menschen loslasse, ist in meinem Herz Platz für jemand neues. Wenn ich alte Kleidung loslasse, entsteht Platz für neue, schöne Sachen. Wenn ich alte Pläne loslasse, ergeben sich Lücken, die durch viel bessere Pläne geschlossen werden können. Wenn ich negative Gefühle und Gedanken loslasse, entstehen Kapazitäten für Optimismus und Motivation. Altes loszulassen bedeutet nämlich nicht, etwas zu verdrängen oder zu vergessen oder es ungültig zu machen. Loslassen befreit einfach deinen Geist oder halt auch deinen Kleiderschrank, um Platz für die Zukunft zu machen.