Wie hast du’s mit der Religion?

Ich schwöre, irgendwann kommen wieder schönere Geschichten auf diesem Blog. Langsam reicht’s ja mit dem Drama. Herrgott nochmal. A propos:

Übermorgen fahre ich auf den Kirchentag in Berlin. Dort helfe ich für 10 Tage ehrenamtlich als Fahrradkurier. Das habe ich in den letzten Tagen ganz vielen Leuten erzählt, und obwohl es ja nun hier im Norden nicht ungewöhnlich ist, zumindest auf dem Papier evangelischen Glaubens zu sein, habe ich mich jedes Mal ertappt gefühlt wie Merkel auf die Frage, ob sie Feministin sei. Und somit setze ich immer, wenn ich das erzähle, folgende Information dazu: ich bin nicht wirklich religiös. Und das ist fast schon übertrieben. Ich glaube gar nicht mehr dran und fühle mich als ob ich jeden Moment Feuer fange, sobald ich eine Kirche betrete.

In der 11. Klasse bekamen wir von unserem Englischlehrer die Hausaufgabe, einen kurzen Aufsatz über ein Ereignis in unserem Leben zu schreiben, das einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat. Als wir in der Stunde danach unsere Texte vorlasen war er einigermaßen erschüttert, denn so gut wie alle Geschichten drehten sich um traurige bis niederschmetternde Ereignisse. Er gab zu, dass er damit nicht gerechnet hatte, dass er dachte mehr schöne Geschichten zu hören. Wahrscheinlich dachte er das auch aufgrund unseres jungen Alters. Doch wir waren uns einig, dass nichts einen so starken Eindruck auf einen Menschen hinterlässt, wie Trauer, Schrecken und Wut – und das absolut altersunabhängig. Auch ich hatte für diesen Aufsatz etwas total privates ausgepackt: Ich hatte über den Tod meiner Oma geschrieben und wie ich dadurch meinen Glauben verloren habe.

Meine Eltern haben mit mir als Kind über Gott gesprochen. Nie auf eine aufdringliche Weise allerdings, wahrscheinlich eher um mir als Kind irgendwie die Gewissheit zu geben, jemand beschütze uns oder so. Ich wurde auch erst in der Grundschule getauft, als ich mich dazu entschied, sie zwängten mir also nichts auf. Meine Oma hingegen hat immer eine große Rolle in Sachen Gott gespielt. Erklärte mir Gott, Christentum, Jesus und das ganze Gedöns und nahm mich mit in die Kirche. Auf jeden Fall gehörten die irgendwie immer zusammen, Gott und Oma.

Dabei war ich eigentlich immer ein kritisches Mädchen und habe Sachen hinterfragt, wenn sie mir nicht logisch erschienen. Was sollte zum Beispiel der Kram mit Adam und Eva wenn es doch BEWIESENERMAßEN Dinosaurier gab??? Im Konfirmationsunterricht wurde es nicht besser. Ich hatte in der 5. und 6. Klasse keinen Religionsunterricht mehr, sondern Werte und Normen, die niedersächsische Form von Ethik oder Philosophie. Beim Wechsel aufs Gymnasium hätte ich wieder Religion wählen können, doch ich blieb bei Werte und Normen. Kann man sagen, ab da ging’s bergab? Vielleicht. Im Konfirmationsunterricht nun wurde ich nach längerer Zeit wieder mit christlicher Lehre konfrontiert und ich eckte doch mal öfters an. Psalm 23 beispielsweise: keine Sekunde dachte ich daran, dass mich Gott auf meinem Weg leitet. Das bin allein ich. Als dann ein Mädchen dem Vikar, der den Unterricht gab, diesbezüglich total nach dem Mund redete nur um positiv aufzufallen bin ich fast geplatzt.

Der Vikar war klasse übrigens. Hing genauso wie wir im Internet rum und spielte Onlinegames. Der ließ mich auch immer meine Meinung sagen und versuchte nie, sie mir auszureden. Am Tag meiner Konfirmation besuchte er mich noch zuhause bei unserer Feier, das tat er nicht bei allen soweit ich weiß. Ich hatte wohl irgendwie einen Eindruck hinterlassen. Ich wüsste manchmal gerne, ob er was ahnte. Mein instabiler Glauben oder so.

Meine Oma hatte leider gesundheitliche Probleme, und als diese schlimmer wurden, betete ich. Dass sie noch länger lebt, und mit uns im Sommer im nächsten Jahr in den Urlaub fahren kann. Als meine Oma starb war es der erste Tod eines engen Familienmitgliedes, den ich erlebte. Ich war 16 und am Boden zerstört. In der Wut-Trauerphase war ich dann sauer, auf ganz vieles und auf Gott. Weil er nicht da war, das eine mal, als ich ihn gebraucht hätte. Und naja. Irgendwie ging es dann bergab. Da haben dann meine Zweifel gewonnen.

Mein Onkel nahm mich im Jahr darauf mit zum Kirchentag nach Bremen. Als Fahrradkurier. Und ich hatte eine großartige Zeit. Ich fuhr auch mit nach Dresden und war in meiner neuen Heimatstadt Hamburg auch dabei. Obwohl ich mich seit meinem ersten Kirchentag schon selbst nicht mehr als gläubig bezeichnete. Damals radikale Atheistin, jetzt wahrscheinlich etwas gemäßigter zum Agnostizismus tendierend.

Ich habe das Bedürfnis, diesen Zusatz „ich bin nicht religiös“ immer wieder zu betonen, weil ich mich nicht mit fremden Federn schmücken möchte. Wie Merkel eben (die olle). Dort helfen, aber nicht sagen, dass ich nicht dran glaube, fühlt sich ganz schön verlogen an. Ich finde es bewundernswert, wenn Menschen glauben können – mal ganz abgesehen davon, welcher religiösen Strömung sie angehören. Dass sie so eine Gewissheit haben, dass es eine höhere Macht gibt, durch die am Ende alles irgendwie Sinn macht. Mein Kopf und Herz schaffen das nicht.