SPACHTELSPUREN: fionas fickle fictions

Auf allen vieren und nackt kroch ich in die Küche und öffnete die Schiebetür des Schranks unter der Spüle. Aus dem Fenster in meiner Küche konnte man auf einen Schulhof gucken, der zudem ausgerechnet gerade jetzt von vielen kreischenden Kindern in der ersten großen Pause bespielt wurde. Allerdings wollte ich gerade duschen und brauchte eine neue Flasche Duschgel – und das lagerte nun einmal im Küchenschrank.

Ich krabbelte zurück in den Flur und hüpfte anschließend schnell unters warme Wasser, das ich schon vorher aufgedreht hatte, da es immer ewig zum aufheizen brauchte. Außerdem wurde es kalt, wenn man den Heißwasserknauf zu weit aufdrehte. Es machte alles keinen Sinn und ich hatte Wochen gebraucht, um das herauszufinden. Ich habe mir dann irgendwann mit Edding einen Strich dort aufgemalt, damit ich nicht jedes Mal die optimale Position suchen musste.

Ob es wohl möglich war, ein Haus zu bauen, in dem die Räume oder die Wohnungen keine seltsamen Eigenheiten haben? In meinem Kinderzimmer musste man die Tür, um sie zu schließen, leicht anheben, da sie ansonsten irgendwo am Boden hängen blieb. In meiner ersten Wohnung gab es keine Feuermelder und wenn man die Waschmaschine und den Wasserkocher gemeinsam laufen ließ, flog die Sicherung raus. Und jetzt, jetzt wüsste ich gar nicht wo ich anfangen sollte.

Trotzdem, überlegte ich, als ich mich abtrocknete und mich dann in meinen Bademantel verpackte, mochte ich es hier. Eine Wohnung kennen lernen war ähnlich, wie einen neuen Menschen zu treffen. Zunächst ist da der allererste oberflächliche Eindruck. Dann fallen einem hier und da ein paar Schönheitsfehler auf oder man lässt sich blenden vom aufpolierten Äußeren. Richtig lernt man aber erst über sie, wenn man viel Zeit mit ihnen verbringt. Dann zeigt sich ihre Geschichte, ihre Erfolge und ihre Macken.

Ich schmiss mich rückwärts auf mein Bett. Irgendwie war mir noch nicht danach, mit der Arbeit anzufangen. An der Decke hing eine Lampe von Ikea. Ein Erbstück aus einer Beziehung mit einer großen Liebe. Ich hatte das gute Stück ergattert und hasste es nun, war aber auch zu faul nach etwas neuem zu suchen. Also setzte ich mich und lehnte mich an der Wand an und starrte stattdessen auf die gegenüberliegende Raufasertapete.

Eigentlich fand ich Raufasertapete immer schon ausgesprochen scheußlich. Ich mochte untapezierte Wände. In weiß oder in einer anderen geschmackvollen, unaufdringlichen Farbe. Aber bitte mit ruhiger Oberfläche. Als ich in dieser Wohnung gestrichen habe fielen mir wortwörtlich alte Farbschichten von der Tapete. Grün, Rot, Apricot – keinen blassen Schimmer, wie man Raufaser und auch noch solche Farben aushalten konnte. An der Wand gegenüber entdecke ich einen Fleck, an dem keine Tapete war, sondern an dem großzügig irgendetwas überspachtelt worden war.

Solche Spachtelspuren gab es viele in der Wohnung. Da muss ein echter Renovierungsanfänger am Werk gewesen sein, denn solche Arbeiten kann man auch auf Raufaser unauffälliger ausführen. Ich kratze mich am Schienbein und ärgerte mich über meine Winterhaut. Ich hasste Hautcreme und trotz meiner super trockenen Haut hatte ich noch keine gefunden, die vernünftig schnell einzog, sodass ich im Winter immer total durchgefroren war, bis ich mich endlich anziehen konnte.

Ich stand auf, ging zu dem verspachtelten Fleck und bückte mich, um ihn genauer ansehen zu können. Keine Ahnung, was hier versucht wurde, zu verdecken. Ein Bohrloch machte für mich wenig Sinn, da sich die Spur auf Hüfthöhe befand. Was musste man da schon anschrauben oder aufhängen? Außerdem war es hier der einzige Fleck. Ich widerstand der Versuchung, die Spachtelmasse abzukratzen. Manche Geschichten müssen halt nicht erzählt werden, dachte ich und ging in die Küche, um mir einen Tee zu machen.

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Nachwort
Der geneigte Leser weiß, dass einer meiner langfristigen Lebensträume ist, ein Buch zu schreiben. Da von nichts nichts kommt, versuche ich mal, eine kleine Reihe an fiktionalen Geschichtchen auf meinem Blog unterzubringen, zu finden unter ‚fionas fickle fictions‘.