Vorwort
Der geneigte Leser weiß, dass einer meiner langfristigen Lebensträume ist, ein Buch zu schreiben. Da von nichts nichts kommt, versuche ich mal, eine kleine Reihe an fiktionalen Geschichtchen auf meinem Blog unterzubringen, zu finden unter ‚fionas fickle fictions‘.
Löffel klimpern und klirren an Tassen. Kleine, mittlere, große Café Crema und Flat Whites, oder besser, grande und venti, oder wie das heute in den großen Kaffee-Ketten heißt. Dies hier ist eigentlich keine große Kette, aber auch hier hatten die Getränkegrößen irgendwelche total special fancy Namen. Ich weiß es nicht mehr, ich habe einen großen Vanilla Latte bestellt. Wann hat man eigentlich begonnen, alle möglichen Sirupsorten in Kaffee zu pumpen?
Es klimpert und murmelt und zischt und ich kann in den umliegenden Gesprächen mindestens drei Sprachen heraushören. Deutsch und Englisch sind auf jeden Fall dabei, und zwei andere unterhalten sich in einer slawischen Sprache, die ich unmöglich weiter definieren kann. Campuscafés sind so schön international. Und ich genieße den sinnlichen Input.
Ich war lange nicht mehr hier. Das Leben ist ja so eine Sache die sich ständig bewegt und sich bewegt, und dich bewegt, und plötzlich sind zwei Jahre vorbei und du findest dich an einem Ort wieder, den du so lange so gut kanntest, und bist Gast. Was ein fester Bestandteil deines Alltags war, ist nun der Alltag von anderen Leuten, deren Gesichter du nicht mehr kennst. Hier zu studieren war schön. Hier zu studieren war kurz. Was ist von vier Jahren übrig geblieben?
Jemand lacht und ich löffle Milchschaum. Damals war alles irgendwie aufregend, aber auch irgendwie entspannter. Weniger beängstigend. Jetzt ist es immer noch aufregend, aber alles bereitet mir Sorgen. Die nächste Präsentation, der nächste Termin, der nächste Arztbesuch, die nächste Fahrt zu den Eltern, die nächste E-Mail. Und wenn dein Leben dir Sorgen bereitet, dann fängst du an, vor deinen Gefühlen zu fliehen, in dein Inneres. Alles wird glatt gebügelt und alles problematische oder potenziell sorgenbereitende wird gemieden.
Hier habe ich die Erinnerungen an das Leben in Cafés, mit meinem Studentenjob; hier kann ich zuhause rumhängen und mich erinnern und so tun, als gäbe es das Leben draußen und im Jetzt gar nicht. Letzte Woche hatte ich frei und so viel vor. Ich habe nichts gemacht. Auf der Flucht vor der Realität saß ich zuhause auf dem Sofa und guckte alle sechs Staffeln einer Netflix-Serie, die mir eine Freundin empfohlen hatte. Siehe da, ich hatte keine Sorgen. Solange, bis der Anruf kam. Seitdem ist alles rau, roh, intensiv, empfindlich, und ich erkenne mich endlich wieder.
Wenn man nichts mehr fühlt und das stumpfe Sein eigentlich unproblematischer Zeiten genießt, dann vergisst man, wie es ist, ein Leben zu führen, in dem man nicht ständig aus Angst und Sorge vor jedem intensiven Gefühl flieht. Wann habe ich angefangen, in meine Blase zu fliehen? Wann habe ich aufgehört, Nachrichten zu lesen? Ich muss schmunzeln, weil ich ich mich daran erinnere, wie mein Leben mit 16 war. Wir hatten so viele Pläne und Ideen und auch Sorgen, aber die drehten sich nur um die nächste Physikarbeit oder ob der Junge aus der Parallelklasse einen wirklich mochte oder ob das Rumgeknutsche auf der letzten Party eben nur das war oder doch mehr? Ich führte nächtelange Telefonate über Gott und die Welt. Ungerechtigkeit in fernen Ländern war auch unser Problem, wir waren engagiert, wir protestierten, wenn uns etwas nicht passte, wir machten die Erde zu einem besseren Planeten. Wir malten uns unsere Zukunft aus. Ich trank Bier und Schnaps und tat am nächsten Tag bei meinen Eltern so als würde es mir gut gehen. Die Welt war so groß.
Jetzt ist die Welt klein. Zentrum bin ich und meine Gedanken und alles was mich unmittelbar berührt. Was sich verdrängen lässt wird verdrängt. Das klappt solange, bis das Leben dir einmal mit Elan in den Oberarm piekst und sagt „Die Fahrkarte bitte!“. Dann wachst du auf und bist unangenehm berührt, dass du vorher nicht mitbekommen hast, dass das Leben etwas von dir wollte und weitergeschlafen hast, und rumpelst und wühlst in deiner Tasche, um die Fahrkarte zu finden, die doch verdammt nochmal hier irgendwo war.
Und dann hörst du wieder das Klimpern und Murmeln und Zischen und bist wieder da. Und das Leben ist da, und du fragst dich, was von all den Jahren übrig geblieben ist. Auf der Flucht vor der Realität und dem Leben. Es wird Zeit, wieder raus zu gehen. Ich könnte mal wieder einen traurigen Film angucken? Oder tanzen gehen? Das Koffein verstärkt alle meine Sinneswahrnehmungen und ich merke, wie gut es mir gehen sollte. Der Mann am Tisch neben mir lässt seinen Löffel fallen. Er bleibt neben meiner Tasche liegen, also hebe ich ihn auf.
Danke.
Dafür nicht, sage ich, lächle.
Er lächelt auch.