„Ich bin nicht mein Job ich bin nicht mein Job ich bin nicht mein Job…“
In ihrem Kopf hing die Platte Mantra-artig an diesem Satz fest. Sie kam gerade aus einem Meeting und das Feedback zu ihrem Projekt, an dem sie monatelang gesessen hatte, war vernichtend gewesen. Ihre Tasche unter dem Arm und den Schal hoch ins Gesicht gezogen lief sie durch die kalte Stadt.
Es tat weh. Das bohrende Gefühl in der Brust, nicht ausreichend zu sein, sich nicht genügend Mühe gegeben zu haben. Sie war ausreichend, sie wurde nicht umsonst hierfür aus ihrem vorherigen Job abgeworben. Sie hatte sich nicht nur Mühe gegeben, sie war über alle ihre Schatten gesprungen, um das Projekt zu retten. Es hatte nicht sein sollen. Sie verabscheute es normalerweise zutiefst, ein Versagen auf die Umstände zu schieben, aber diesmal war es einfach so. Sie hatte sich und ihre Arbeit durchanalysiert, alles Revue passieren lassen, und natürlich war sie nicht fehlerfrei. Wir sind alle nur Menschen und so. Aber die Umstände waren auch einfach scheiße. Man musste es so sagen, es half nichts.
Sie wartete an der Ampel bei der großen Kreuzung. Sie stand zu still. Die Enge in ihrer Brust wurde stärker und dazu kam Übelkeit. Wie sollte sie das nun retten? Mit der wenigen Zeit, die blieb? Wie sollte sie das ihren Kollegen erklären?
„Ich bin nicht mein Job ich bin nicht mein Job…“
Manche Leute behaupten, es sei gut sich mit seinem Job zu identifizieren, weil es einen zu Höchstleistungen ansporne. Bei ihr war es anders. Je mehr sie von sich in ihren Beruf steckte, desto mehr hatte sie das Gefühl, daran zu zerbrechen. Je mehr sie eins mit ihrer Arbeit wurde, desto mehr tat es weh. Und der Schmerz verwehrte ihr alle Möglichkeiten produktive Lösungen zu finden. Er vernebelte alles. Außer Panik war da dann nichts mehr in ihr. Der Weg nach Hause kam ihr ewig vor. Aber da musste sie nun unbedingt hin.
Sie war so vieles. Sie war Zeichnerin, sie war Badmintonspielerin, sie war Katzenmama, sie war Liebhaberin, sie war Winterkind und Rotweinfan, sie war Schwester und Tochter und Nichte und Enkelin und Freundin, sie war Filmfreundin und Zuhörerin, sie war Hobbypoetin, Pflanzentod, Langschläferin und SPD-Mitglied mit Überzeugung. Sie liebte rote Wände, grüne Bilder, große Tassen und super saubere Badezimmer. Sie lachte laut und zu lange aber ihre Freunde liebten das an ihr. Sie weinte leise und wenig, und das liebte sie an sich.
Aber sie war nicht ihr Job.
Sie machte ihren Job.
Und sie mochte ihren Job auch, eigentlich. Aber sie musste aufhören, ihn als Teil von sich, von ihrem Sein zu sehen und ihr Glück von ihm abhängig zu machen. Distanz war ihr Stichwort. Nicht jeder kann sein Hobby, seine Leidenschaft zum Beruf machen. Job ist Job, ich bin ich. Ich bin nicht mein Job.
Während sie die Haustür aufschloss lockerte sich die Enge in ihrer Brust und sie bekam wieder Luft. Beim Treppensteigen wurde es noch besser. Als sie in ihrer Wohnung stand, Schal, Jacke und Schuhe in eine Ecke schmiss, wusste sie, dass das scheiß Gefühl heute nicht mehr komplett verschwinden würde. Sie hoffte aber, dass sie es überwinden konnte. Nicht jetzt, vielleicht noch nicht mit diesem Projekt, vielleicht noch nicht in den nächsten 10 Jahren, irgendwann eben.
Sie legte sich in ihr Bett und zog sich ihre Bettdecke über den Kopf, auf sich spürte sie die Katze entlang laufen. Sie wusste nun, dass sie die richtige Idee hatte. Ihr Kopf wusste wo er hin musste, damit die Arbeit und das Leben sich wieder mehr liebten.